5 Fragen an Birgit Wilhelm: Ist die Zukunft vegetarisch?

Derzeit leben 7.323.187.457 (Stand: 19. Januar 2017, 15:07 Uhr) Menschen auf der Erde. Jede Sekunde wächst diese Zahl um 2,6 neue Erdbürger. Im Jahr 2050 werden wir wahrscheinlich neun Milliarden Menschen sein, die den Planeten bevölkern. Wie wir es schaffen können, diese Menschen mit Nahrung zu versorgen, was sich dafür ändern muss und warum uns das alle etwas angeht, erklärt WWF-Landwirtschaftsexpertin Birgit Wilhelm im Gespräch.

1. Wie genau sollen wir neun Milliarden Menschen ernähren?

Die Ansichten darüber weichen sehr stark voneinander ab. Es gibt Studien, die zu dem Schluss kommen, dass sich die Nahrungsmittelproduktion drastisch erhöhen muss, um so vielen Menschen Nahrung liefern zu können. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Landwirtschaft – mit ihrer einseitigen Konzentration auf Produktionsmaximierung – bereits dazu beiträgt, dass wir tagtäglich fruchtbaren Ackerboden für die Produktion verlieren. Wir beuten unsere Lebensgrundlage, den Boden, selber aus. Nur über eine nachhaltige Nutzungsweise und eine Landwirtschaft, die den Erhalt der natürlichen Bodenfruchtbarkeit wieder ins Zentrum stellt, werden wir es schaffen, neun Milliarden Menschen zu ernähren. Darüber hinaus konnten wir vom WWF mit der Studie „How to feed the world's growing billions“ zeigen, dass es neben der Produktionssteigerung noch weitere wichtige Ansatzpunkte gibt, um die Welt zu ernähren.

 

2. Wie kann die Hungerkrise überwunden werden?

Wir müssen schlauer arbeiten, gerechter verteilen und weniger verschwenden. Das Grundproblem für Hunger auf der Welt ist nicht ein Mangel an Nahrungsmitteln. Das Grundproblem ist die Ungerechtigkeit der Armut. Fast die Hälfte der Menschen, die an Hunger leiden, sind Kleinbauern. Diese Armut gilt es zuallererst zu bekämpfen. Als zweites muss die Verschwendung von Nahrungsmitteln verhindert werden. Damit ist nicht nur gemeint, dass wir Bürger der Industrienationen Essen einfach wegschmeißen. Auch bei der Verarbeitung und dem Transport gehen teils bis zu einem Fünftel der Lebensmittel verloren, weil die Infrastruktur nicht funktioniert oder auch nur, weil ineffizient gearbeitet wird. Und als drittes, und da sind vor allem wir selbst in der Pflicht: Unser Konsumverhalten muss sich drastisch ändern.

 

3. Was genau ist denn falsch an unserem derzeitigen Verhalten?

Wir müssen es schaffen, den Fleischkonsum zu senken. Die Produktion von Fleisch verschlingt Unmengen von Lebensmitteln. Darüber hinaus strapaziert es die Böden, zerstört die Umwelt. Ich wünsche mir gar keinen strikten Vegetarismus, sondern vielmehr einen bewussten Umgang mit dem Lebensmittel Fleisch.

 

Wir müssen schlauer arbeiten, gerechter verteilen und weniger verschwenden

 

4. Wird es in Zukunft mehr Vegetarier geben?

Ich persönlich glaube das schon. Es wird scheinbar immer mehr Menschen bewusst, dass die Fleischproduktion aus industrieller Massentierhaltung unmittelbar zu Umweltzerstörung und Ungerechtigkeit führt. Außerdem glaube ich, dass viele Menschen, denen eine bewusste Ernährung wichtig ist, merken, dass sie gar nicht so viel Fleisch brauchen. Viele fühlen sich sogar besser, wenn sie seltener, aber dafür hochwertigeres Fleisch verzehren. Allerdings wird dieses Thema sehr emotional geführt. Jemandem seine Essgewohnheiten vorzuwerfen, ist schon ein starker Eingriff in die Privatsphäre.

 

5. Gibt es trotzdem etwas, das positiv stimmt und Hoffnung macht?

Durchaus. Ich als Landwirtin finde es sehr schön, dass wieder mehr über Essen geredet wird und vor allem auch darüber, wo es her kommt und wie es erzeugt wurde. Durch die Zentralisierung  der Produktion und des Vertriebes, etwa durch Supermärkte, hat sich der Zusammenhang stark aufgelöst. Wie soll ich beim Einkauf einen Bezug zum Essen entwickeln? Wie eine Vorstellung davon haben, wie ein gesunder Boden sich anfühlt? Ich bin begeistert von den vielen Heimgarteninitiativen – sogar in der Großstadt Berlin. Es ist ein wunderbares Erfolgserlebnis, sein eigenes Gemüse zu ernten und gleichzeitig steigt die Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln und dem Boden, der alles wachsen lässt. Ernährung wird wieder stärker in den Alltag aufgenommen, die Leute machen sich darüber Gedanken, was sie essen. Das stimmt mich sehr hoffnungsvoll.

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